Eigenbedarfskündigung: Gericht muss Härtegründe sorgfältig prüfen
Begründung der Eigenbedarfskündigung und besonders sorgfältige Prüfung der hiergegen vorgebrachten Härtegründe
Die hochbetagten Beklagten sind seit 1997 Mieter einer Dreieinhalbzimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs mit der Begründung, dass er die Wohnung für die vierköpfige Familie seines Sohnes benötige.
Der Sohn bewohnt mit seiner Familie die im Obergeschoss liegende Wohnung. Er beabsichtigt die beiden Wohnungen zusammenzulegen, um zur Beseitigung der bislang beengten Wohnverhältnisse mehr Wohnraum für seine Familie zu schaffen.
Die Beklagten widersprachen der Kündigung und verlangten die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen persönlicher Härte unter Verweis auf die Regelung des § 574 Abs. 1 BGB. Der 87-jährige Mieter habe eine Vielzahl von gesundheitlichen Beschwerden und leide an einer beginnenden Demenz, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Bei Verlust der Wohnung sei ein Umzug in eine Altenpflegeeinrichtung nicht zu umgehen.
Das Amtsgericht und das Landgericht haben der Räumungsklage des Vermieters stattgegeben.
Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) bestätigte in seinem Urteil vom 15.03.2017 zwar die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung, wies die Sache jedoch zur neuerlichen Entscheidung an das Landgericht zurück. Das Landgericht habe die von der Beklagten vorgebrachten Härtegründe jedoch nicht sorgfältig genug geprüft.
Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs sind grundsätzlich die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, ausreichend. Ausführungen zu weiteren Räumlichkeiten des Gebäudes im Kündigungsschreiben sind nicht erforderlich, zumal die Raumsituation den Beklagten bekannt war.
Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter einer Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine Härte bedeutet, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Als Härtegründe kommen nur solche Umstände in Betracht, die weit über die üblichen Unannehmlichkeiten eines Umzugs hinausgehen.
Das Landgericht unterstellte den Vortrag der Mieter als wahr, befand ihn aber für nicht ausreichend, da das Interesse der Vermieterseite überwiege, nicht auf Dauer auf beengtem Raum leben zu müssen. Nach der Auffassung des BGH hat es das Landgericht aber unterlassen, sich inhaltlich mit der existenziellen Bedeutung der vorgebrachten Härtegründe auseinanderzusetzen.
Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen, vgl. Senatsurteil vom 09,11.2016 – VIII ZR 73/16.
Eine schematische Beurteilung der vorgetragenen Härtegründe reicht folglich nicht aus. Sofern ein Mieter schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines Wohnungswechsels geltend macht, ist das Gericht gehalten, sich ein genaues, nicht nur oberflächliches Bild davon zu machen, welche gesundheitlichen Folgen ein Umzug für den Mieter haben kann. Bei Fehlen eigener Sachkunde muss das Gericht gegebenenfalls einen Sachverständigen zu Hilfe nehmen.
BGH, Urteil vom 15.03.2017, Az.: VIII ZR 270/15